Contents
Januar 1922
1.I.22.
Liebes Gritli,
“Spaass – hab ich ne Nacht gehabt!” – gestern Abend gabs noch eine grauenhafte Szene mit Mutter, ich fand sie bei den Vorbereitungen zu ihrem in der Nacht erfolgen sollenden Selbstmord, (Briefeverbrennen etc.) Heut ist sie etwas aufgeweicht und wieder ein bischen auf Zukunft eingestellt. Es kam auch grade die (übrigens sehr nette) Antwort von Heinecke auf ihre Anfrage, ob sie im Frühjahr ehe die Rostocker Nichte kommt, zu ihm kommen dürfe. Sie darf! Und da war also heute grosses Glück.
Edith fährt nun morgen früh glücklicherweise doch nach Berlin und wird sich da etwas erholen. Ich muss hier bleiben und bleibe also in der Gespanntheit. Wenn ich zurückkomme werde ich wohl zunächst noch meinen “Lohnkampf” abzuschliessen haben (Ich habe tatsächlich, trotz nochmaliger schriftlicher unoffizieller Mahnung, nichts gehört, schreibe also morgen meinen offiziellen Brief an die Gesellschaft, damit ich meine Ablehnung schriftlich kriege; um was andres gehts nicht mehr; aber dahinterher schreibe ich dann noch einen saugroben abschliessenden Brief – auf den ich mich schon jetzt freue).
Das neue Datum macht mir diesmal überhaupt keinen Eindruck mehr; ich bin etwas aus der christlichen Zeitrechnung heraus, in die ich durch den Krieg noch sehr hereingeraten war, weil man ja da immer dachte: was wird nun neunzehnhundertsoundsovielzehn bringen? Diesmal stecke ich nur noch im jüdischen Jahr drin. (Du kannst es auf der Nobelfestschrift nachsehn, und nächstes Jahr auf der zweiten Auflage des *). Hansens Kritik las ich heut nochmal, sie ist wirklich schön. Für das dumme Publikum ist übrigens sicher grade der einzige Fleck drauf, der vorletzte Absatz, grade die beste Reklame, indem die Leute heute ja das wollen.
Der Dreifaltigkeitsspiegel ist eklig, ganz unausgegorenes Notizbuch.
Ich habe Hans auf seine Anfrage wegen eines *Rezensenten für die Chr. Welt – Fritzsche genannt. Das kann doch schön werden.
Wie geht es euch? Ich denke viel an Hansli.
Dein Franz.
2.I.22.
Liebes Gritli,
Edith ist heut früh fort. Mutter ist wie stets nach Stürmen relativ beruhigt und geniessbar, sogar sehr geniessbar. Vor Abends war ich wieder bei Tante Julie. Im übrigen gelesen und geschlafen und Briefe geschrieben.
Kochs Vorschlag gehört zu der Art, die ich schon nicht mehr mache. Denn wenn Eugen das Buch schreibt, so wirds ja nachher trotz aller guten Vorsätze verständlich und imponiert keinem Sinzheimer. Viel besser wärs, Koch ginge in den Ausschuss. Ist das nicht möglich? etwa als Vertreter der “Naturwissenschaften”?
Morgen ist Buber hier und hält einen Vortrag, auf der Durchreise nach Berlin. Ich bin ganz zufrieden damit, denn so erübrigt sich wohl meine Reise zu ihm am Sonntag, was bei den schlechten Verbindungen jetzt doch kein Vergnügen wäre. Wir werden uns aber doch wohl erst Montag sehen, Sonntag werdet Ihr ja noch Besuch haben.
Die Ferien sind arg rasch herum, ohne dass ich sie recht genossen habe. Doch euch gehts noch schlimmer. Wenn ihr nur wenigstens bis zum 8ten im Stand seid. Wo war nur die Grippe früher? das ist doch nun die 3te oder 4te Welle der Epidemie.
Ich las heut im Augustheft der Tat, das man mir wegen des Paquetschen Aufsatzes über Buber gegeben hatte. Es graut mich immer mehr, in dieses Chaos hineinzukucken; man muss doch ins Schneckenhaus gehen und warten bis die Leute kommen. Jede begrenzte Tätigkeit, selbst Eugens, ist besser als die “Litteratur”.
Ich habe heut meinen offiziellen Brief an die Gesellschaft losgelassen, weil ich auf meine inoffiziellen Schritte, wie ich erwartet hatte, ohne Antwort geblieben war. Zweck hats momentan keinen, aber ich bin sicher, dass mir dies Jahr wieder ein Druckmittel in die Hand kommt, und dann wird gedrückt, gnadenlos und mit Paragraphen und Sicherungen aller Art. Das wird ein Fest!
Dein Franz.
3.I.22.
Liebes Gritli,
Heut Mittag kam Buber, ich holte ihn nach Tisch von Prager ab zu uns. Mutter ist ganz verliebt in ihn. Er ist ja auch wirklich etwas Besonderes und so ganz echt. Den * hat er jetzt ausgelesen, findet – III 2 am besten! (obwohl er natürlich meine Auffassung ablehnen muss; wir hatten ehe wir bei uns waren, ein Gespräch darüber aus dem ich sah, dass auch auf diesem Gebiet seine Kenntnis tiefer ist als die seiner Nachtuter; er hat sich – was ich nicht dachte – mit Schweitzer wirklich auseinandergesetzt.
Die Verlängerung von Hanslis Heidentum ist mir aus Gründen die mit der Theologie nichts zu tun haben ganz recht. Ich kann sie aber nicht verraten.
Rudi wird sich schon wieder zufrieden geben, wenn er da ist. Dass er blind und verblendet ist, sieht man ja aus allem was von ihm kommt, ob es nun die Diagnose einer anonymen Autorschaft ist oder eine “witzige” Postkarte “im Stil des alten Goethe”. Helene in ihrer augenblicklichen Unbeaufsichtigtheit hat sich übrigens schon wieder – telefonisch – bei Mutter ausgeschüttet, dass Rudi “obwohl doch nun kein Schnee sei” doch fortbliebe, und Mutter versucht nun täglich, das Gepräch wieder auf dies Thema zu bringen, wovor ich jedesmal aalglatt entweiche.
Eugens Gedicht verewigt nun mit seinem “dann nur zehn Pfennige” sogar das so oft gezahlte Strafporto (wir haben nur umsonst mal 15 Pf. erlebt) und daraufhin hätte ich gestern eigentlich Gelegenheit gehabt, auf die Strafportosteigerung ein ähnliches Gedicht zu machen wie er auf das normale, denn da hast du mich – 2,80 Mark gekostet! Ich habe sie aber gern bezahlt, so etwa mit den Goethe – Mozartschen Veilchengefühlen. Überhaupt – und immer
Dein Franz.
4.I.22.
Liebes Gritli,
es war sehr schön mit Buber auch gestern Abend noch. Der Vortrag eindrucksvoll, doch auch sehr charakteristisch in seinen Schwächen. Die theoretische Unzulänglichkeit des Zionismus und die Richtigkeit meiner und der Eduardschen Theorie ist mir nie so deutlich geworden. Nachher waren wir noch bei Pragers zusammen; erst nachts um 2 fuhr er ab. Hansens *Kritik findet er an sich schön, aber dem Buch gegenüber unadäquat.
Eine schöne Geschichte von Beer – Hoffmanns Kindern (deren Mutter übrigens Christin war). Sie spielen mit 2 Löwen. Der Junge zum Mädel: “Mein Löw ist grösser”. Es lässt sich feststellen dass das nicht stimmt. Darauf: “Aber schöner ist mein Löw”. Auch das lässt sich, wenn auch schon schwieriger, als irrig erweisen. Darauf: “Aber mein Löw ist ein Jud“. Da war nichts mehr zu machen.
Das Mädchen (die bekannte Mirjam mit dem Schlaflied) hat einmal gefragt: War denn Goethe kein Jud?
Heut war ich Nachmittags bei Trudchen und Louis. Abends war Frl.v.Kästner bei uns.
Jetzt sind es nur noch ein paar Tage hier. Ich bin recht kaput und habe eigentlich doch nichts geschafft. Ich hoffe nun auf die Vormittags 1/2 11 – 1 Uhr – Stunden, die ich ja vor Weihnachten kaum ausprobieren konnte.
Dein Franz.
5.I.22.
Liebes Gritli,
vor Mutters Neugier brauchst du jetzt wenig Angst zu haben. Du interessierst sie nicht mehr. Ausserdem steht sie meist so spät auf, dass ich die Post vorher kriege.
Ich kann nicht gut vor Sonntag kommen; Edith kommt ja auch erst Sonntag früh. Rudi würde mich nicht abschrecken. Wir haben uns ja auf der neuen Basis im Sommer sehr gut vertragen. Er selbst hat in seiner Gefühlsstumpfheit überhaupt wohl gar nicht gemerkt, dass es eine neue Basis war.
Deine Lehrhaussachen habe ich schon wie das vorige Mal erledigt. Dich in die Ermässigten einzureihen, verbot mir meine zu genaue Kenntnis von Eugens Gehalt. Die Bubersche Übung habe ich auch für dich belegt; wenn du nicht kannst, kann ich es ja noch nachträglich ändern, das ist (wegen der Fördererkarte) praktischer als nachträglich zu belegen. Ich glaube nämlich, du wirst sie mitmachen wollen, weil du dich ja in ihn verlieben wirst. (Soviel Hebräisch kannst du ja). Also du hast vorläufig:
1, 2, 3, 5, 6, 10.
Edith ausserdem noch: 9, 12, 13.
Es schneit herrlich.
Dein Franz.
6.I.22.
Liebes Gritli,
mit Mutter ist es doch gar nicht recht. Vorhin war sie direkt besorgniserregend; jetzt ist es wieder besser. Ich gehe jedenfalls heut Abend nicht fort. Wenn ich am Sonntag gehe, so kommt gleich Hennar Hallo auf 3 Tage, und Rudi wird doch auch wohl in Kassel Station machen.
Ihr erschreckendes Aussehen bewirkt ja, dass sie täglich Besuche kriegt; es reisst gar nicht ab.
Ich bin ganz zufrieden, dass diese ermüdenden Ferien jetzt alle sind. Eine gewisse Erholung bedeuten ja diese 14 Tage ohne Kolleg etc. doch. Neulich bei Buber bekam ich sogar wieder etwas Lust dazu.
Richtig freuen tue ich mich aber nur auf die bevorstehende kleine Prügelei mit meinem Vorstand.
Gestern Abend waren Paul und Ida da, heute Louis Mosbachers. Und nachher gehe ich wieder zu Tante Julie, die immer froh ist, jemanden bei sich zu haben, der sie nicht für verkindscht hält. Sie ist tatsächlich so wach wie je und in Wirklichkeit ist die Altersversteinerung grade bei Onkel Otto und Tante Emmy die es eben deshalb nicht merken. Es ist eine wunderbare Umkehrung der Verhältnisse.
Die neue Übersetzung ist so gut wie fertig geworden. Aber die Reinschrift verschiebe ich noch. In Druck giebts ein Heft von 2 Bogen. Wenn ich nicht den offiziellen Auftrag für das Ganze kriege (was immerhin ein Wunder sein würde), so gebe ichs im Frühjahr einem Verleger. Eines Tages wird es ja dann auch von den Offiziellen entdeckt werden.
Dein Franz.
Sommer 1922
5.VI.[22.]
Liebes Gritli, fünf Monate ist es her, dass ich dir zuletzt schrieb. Dazwischen ist allerlei passiert.
Gestern war ein besuchsloser Tag, ich war aber totmüde, so dass ich den einzigen Besuch, der kam, Frau Nobel, die nach jedem Satz den ich sagte, “wie?” fragte, kaum aushalten konnte. Ruth, die nun bald 17 wird, ist vor dem Schwiegervater auf “Fahrt” ausgekniffen; Ernst, der gute, lässt sich dies wie alles, gefallen, meint nur, es wäre doch gut, wenn er ein bischen “nach Wien ginge”. Ich glaube, er hat sein Leben da mit einer schwerern Hypothek belastet; denn Ruth wird nie erzogen werden, – weil sie nie geschunden worden wird.
Ich habe dir gar nicht erzählt, dass Koch sich neulich möglichst beiläufig erkundigte, ob Löwenthal identisch mit einem kommunistischen Studenten des Namens sei. Ich sagte, wahrscheinlich ja, jedenfalls sei er Kommunist. Tatsächlich haben die Kochs ihn auch nicht eingeladen, scheint mir. Alles Wohlgefallen hilft eben nichts; im Augenblick wo einer an dem Dogma, an das er und seine Frau wirklich blind glauben, zum Ketzer wird, nämlich am Geld, ist er erledigt. Das ist ihre Orthodoxie. Alles andre ist, damit verglichen, Sport. Zu schade. Und ich glaube auch, dass erst die Frau ihn so verdorben hat. Denn ihr fehlen ja all die Gegenkräfte, die das Vorhandensein eines solchen Dollpunkts beim ihm unglaubhaft machen. Und hiner der Frau steht Frankfurt.
Komisch war, wie er sich vor mir genierte, und die Auskunft,nachdem er sie hatte, wie ganz nebensächlich behandelte.
Das Schreiben strengt mich an.
Dein Franz.
Der Grünberg versaut Eugens ganzes Buch. Wie konnte er das nicht zurückweisen?!
7.VI.22.
Liebes Gritli, dass für Helene der August 20 kein Datum ist – das ist es ja eben. Das Wesen des damals Geschehenen ist ja eben dies, dass Helene es nicht als Ereignis empfand. Es sollte eben nichts geschehen sein. Und darum kann sie, was seitdem “geschehen” ist, (genau wie Rudi selbst) nur als Fortsetzung empfinden. Genau besehen aber ists für sie nicht Fortsetzung von 1919/20, sondern umgekehrt sieht sie 1919/20 als “dasselbe wie jetzt”. Lotti ist ihr nicht Fortsetzung von Gritli, sondern Gritli eine erste Auflage von Lotti. Sie weiss, genau so wenig wie Rudi, überhaupt nichts mehr von 1919/20. Weisst du, wasmich in dem Brief deiner Mutter am meisten entsetzt hat? Dass sie die “Don Juan Natur” sich an der Reihe Gritli – Greda – Lotti austoben liess. Das konntenämlich unmöglich von ihr stammen. Beweis: Greda, von der sie ja kaum wusste. Sondern das war Rudis eigene Lesart, die deine Mutter entweder aus den gelesenen Briefen oder von Lotti mündlich aufgefangen hatte. So sah Rudi sich selbst, so hat er dich (und damit [doppelt unterstr.] sich und seine Ehe mit Helene) auf dem Altar der neuen Flamme geschlachtet, bedenkenlos undwirklich nicht wissend was er tat (wie kann Helene dies Wort übrigens in den Mund nehmen!!). Das Ansinnen an dich Weihnachten, ihm deine Briefe zu geben, gehört auch hierher.
Und ich kann es immer nur wieder sagen, ob nötig oder unnötig einerlei: Besinn dich was war. Besinn dich, wie Rudi trotz aller Schwangerschafts- und “Laktationsperioden”- Bedenken gar nicht auf den Gedanken kam, sich nicht sofort an Helene zu wenden. Wie unmöglich es gewesen wäre, dass er mit deinen Briefen ein solches System veranstaltet hätte, unmöglich nicht bloss für dich, sondern für ihn selbst. Wie unmöglich für ihn das Abschliessen seiner Frau vor uns, die Überwachung ihrer Korrespondenz. Und dann sag, ob deine Mutter recht hat, wenn sie diese Vergleichung der Hölle von heute und des wenn nicht Paradieses so doch irdischen Gartens von damals von Rudi (und Helene) gläubig akzeptiert. Nein du weisst ich bin kein Schönfärber; aber das Leiden Helenes unter Lotti etc. und das Leiden unter dir, da ist nichts zu vergleichen. Schon einfach weil jenes damals kein Leiden unter, sondern ein Leiden mit dir war. Dies “mit” ist für Lotti unmöglich selbst wenn sie jetzt will oder wollen würde. Denn erstens ists für sie nun dazu zu spät und zweitens (vor allem) ist Helene seit August 20 dazu nicht mehr bereit; und zu einem “mit” gehören immer zwei.
Ich zweifle nicht dass erträgliche Zustände hergestellt werden. Aber ich zweifle ebensowenig, dass das – ganz egal ist. Helene wird immer so leicht zufrieden und so leicht unglücklich sein wie jetzt. Sie war einmal anders, alles war anders, vor allem Rudi selbst war anders, so kennt ihn niemand, der ihn nach August 20 kennen gelernt hat; vergiss du ihn nicht, wie er damals war, wie wir alle damals waren. Lass dir diese Erinnerung nicht verwischen. Glaube der “Gegenwart” nicht mehr als der – als dieser Vergangenheit. Sie ist die Gewähr ewigen Lebens. Was sich seit dem Gegenwart schimpft, ist ein Weg über Leichensteine, erst den des Kindes und nun meinen.
Übrigens wusste ich schon von Lottis Brief an Helene, da er vor Göttingen zunächst hierher gegangen ist, gestern früh. Ich war erst etwas in Versuchung Rudi einen Streich zu spielen und ihn direkt nach Grunewald Königsallee 35 zu schicken an die mir ja aus meinen Berliner Jahren wohlbekannte Adresse. Aber dann wollte ich ihm schliesslich doch nicht in sein eheliches System eingreifen und habe ihn also nach Heidelberg nachgehen lassen. Nun mag er sich selber überlegen in seinem “schwarzen Kabinett”, ob er ihn nach Schema 1 oder 2a oder 2b oder 3 behandeln will. (1: ungeöffnet an Adressaten, 2a: öffnen und ein Original an Adressaten, 2b: öffnen und einen abschriftlichen Auszug an Adressaten, 3: öffnen und zurück an Schreiber mit Massgabe betr. etwa vorzunehmender Änderungen. Man könnte diesen Abschnitt aus der Polizeiwissenschaft noch weiter ausführen!)
Eben kommt eine mir entgangene Stern – Anzeige vom vorigen Sommer aus dem Mitteilungsblättchen des Central Vereins: “es ist ein schweres hochinteressantes Werk, das für die Studierstube wohl geeignet ist und nicht für den Tagesgebrauch eines jeden Mitglieds einer jeden Familie bestimmt wie das unvergleichliche Heinemannsche Werk”. Heinemann aber war ein Mörder! (du weisst: “Zeitfragen im Lichte der jüdischen Lebensanschauung”). Übrigens die viel schlimmere Parallele dazu schicke ich dir mit, den Streich den mir die Susman gespielt hat. Bäck aber war – nun kein Mörder, aber ein gradezu unwahrscheinlich braver Mann, Rabbiner seines Zeichens und feinsinnig. Das Schlimmste ist, dass sie durch diesen Mangel an Qualitätssinn nicht bloss Ihre *Kritik sondern, wo sie wirklich etwas Gutes hätte stiften könne, ihre Cohen – Besprechung im voraus entwertet hat. Was will sie jetzt noch über die Stanzen schreiben, nachdem sie ihre ganze Begeisterung schon im Kaulbachschen Treppenhaus des Alten Museums verpufft hat!
Der Frühling macht mir doch keine Schmerzen, und das ist der Unterschied. Ich bin froh, dass die Erde weiter schön ist, und dass sie bleiben wird. Ich meine ich hätte es noch nie so genossen wie jetzt abends vom Fenster aus nach Nordwesten, – und ohne jede Bitterkeit. Der eigne Tod ist ganz was andres als der des Nächsten – das zeigt sich auch darin. Und was du nicht bitten darfst – ich darf es: Bleibe bei mir.
Dein Franz.
[8.VI.22.]
Liebes Gritli, ich schreibe dir im Bett – statt Sonnenbad, das ich mir schenke, weil ich Kopfweh habe. Ich wollte, ich könnte auch die Stunde heut Abend sein lassen. Am Dienstag? nun: wieder eine Woche schlechter, allemal zwischen zwei Wochen eine Kunstpause. Es geht eben grade mit der Sprache rapide bergab. Auch die Augenmuskeln funktionieren nur noch auf besonderes Verlangen; wenn ich den Kopf rumdrehe, kommen sie erst nach Sekunden nach. Und ich soll Edith einweihen? Das ist eine voraugustliche Idee. Seit damals geht das nicht mehr. Bedenk bitte, dass meine Ehe keine Spur besser ist als Rudis, mit dem einen Unterschied dass ich weder mir noch meiner Frau noch sonstjemand was darüber vormache (was ja freilich ein beträchtlicher Unterschied ist, aber an dem Zustand nichts ändert).
Trudchen schrieb mir neulich dasselbe wie du. Ich habe es tagelang mir nochmal durch den Kopf gehn lassen, ehe ich ihr schrieb dass es nicht geht. Weisst du warum es nicht geht?? Weil ich ihr alles sagen könnte und sie würde – nichts hören. Und deshalb sage ich ihr lieber nichts. Das ist ehrlicher vor mir selber. Auch Ediths Schicksal ist eben an jenem Augustende von Helene zerbrochen worden; such einmal hier meine Briefe von damals heraus, ich bin sicher: es stand schon damals drin. Sie hat wahrhaftig “nicht gewusst was sie tat”.
Ausserdem bin ich besonders unfähig, auf Felsen zu schlagen. Ich bin immer ein Felsen gewesen (“wie Mauer”) der sehr viel Wasser gab, wenn man auf ihn schlug, aber der Stab mit dem man auf Felsen schlägt war ich nie. Und jetzt kommt noch die technische Unfähigkeit hinzu. Aber der Hauptgrund bleibt der mit dem “alles” und “nichts”. Wenn sie einmal von sich aus etwas merkt oder ahnt, wird sies ja einem von euch sagen; dann sagt es mir.
Ich finde Archiv besser als Professur. Es ist anonymer. Gewissermassen: bester Rom – Ersatz. Während Professor ihn stets zu neuen Streichen im Amt und von Amtswegen reizen würde, bleiben hier seine Streiche hübsch ausserhalb des Amts, in das er als in sein Malepartus immer von seinen Reineckefuchsreisen auf Volks-, Hoch- und Schul- Tagungen zurückkehren kann. Und seine gesammelten Werke schreibt er auch nur da, in der Sammlung.
Dein Franz.
[1922 ?]
Dass dus in Zukunkt nicht vergisst,
wenn nochmal wieder “Jom toff” ist,
bind ich dir ein in lustig Tuch
zu fleissigem Gebrauch ‘nen “Luch”.
Darf dir was mir geläufig neu
sein??
Franz und Ediths “Schabbesgoi”
[Sommer ? 1922] Freitag vor Abend
Liebes Gritli,
nur in Eile, damit du die beiden Einlagen kriegst; ich hatte den ganzen Tag noch am Programm zu machen etc. Ich will noch Trudchen schreiben, sie soll vor Mutter kommen; dann bist du entlastet (oder hoffentlich nur entlastbar), und Edith kann noch etwas fortbleiben.
Dazwischen auch noch die Wohnungssache. Clausings wollen nur einen Mieter mit Dringlichkeitskarte. Vielleicht wird es anders wenn ihr mit ihm redet.
Das weisse Papier fremdet mich. Selbst um dir schreiben zu können, brauchte ich dich jetzt selber. So hülflos ist meine Liebe jetzt geworden, es ist ja nur ein Symbol dafür. Ich sitze unbeweglich und alle Bewegung ist bei dir. Doch ists fast schon ein Symbol für unser ganzes Leben miteinander, mindestens für den Anfang, damals – Ich möchte dir noch viel schreiben, aber es ist nicht recht jetzt in das traurige Haus, in das du doch, solange du da bist, hineingehörst. Ich kann nicht sagen: ich bin bei dir. Ich bin ja eben bewegungslos. Also: du bist bei mir.
Dein Franz
[Sommer ? 1922]
Liebes Gritli, (ganz erholte Sabbatabendschriftzüge!), wir schicken dir nur die Briefe nach. – Ich hatte eben einen von Edith, der mich traurig machte.
Hans kam gestern Abend – und zerstörte uns einen schön begonnenen Abend zu dreien; es war schade; ich hatte mir eingeredet, er würde bei dir schlafen.
“Meister des All du” ist gekommen, macht sich etwas zu glatt in der Antiqua des “Juden”.
Ich muss wieder noch eine Menge schreiben heut Abend.
Hans hat sehr gute Verbesserungen an den Idealismusdialogen angebracht.
Genug – du hast jetzt keinen Kopf dafür und sollst auch keinen haben. Wenn ich dir die Briefe nicht nachschicken müsste, hätte ich nicht geschrieben; aber so wärs mir unnatürlich gewesen.
Dein Franz.
Herbst 1922
[Herbst ? 1922]
Liebes Gritli, ich lege dir zwei Briefe bei. Aber noch etwas: ich habe dochsehr den Eindruck als ob Edith noch ein paar Tage Ruhe unter freundschaftlicher Polizeiaufsicht nottäten. Und sie selber meint es auch. So bitten wir dich zu uns zu ziehen. Du kriegst, wenn dir das “zweitbeste Bett” zu hart ist, Ediths jetziges, da es Edith ja nichts macht. – Vielleicht oder wahrscheinlich wirst du schon Dienstag wieder zurückkönnen und die Böden wachsen oder was es war. Schwester Therese wird dich massieren. Ich werde dich lieben.
Dein Franz.
Kassel, d. 31.8.22
Liebes Gritli,
Ich hätte mich vielleicht heute auch an Sie gewendet, wenn nicht Ihr Brief zu beantworten wäre. Aber an seinen Inhalt muß ich anknüpfen, um das zu sagen, was ich Sie ohnehin fragen wollte. Wir hier leiden natürlich alle unter der grausigen, bitter-wirren Verzweiflung, die der letzte Frankfurter Aufenthalt in Tante Dele bis zu dieser Höhe hat anwachsen lassen. Um die Tage, die sie verlebten, beneide ich sie nicht. Und was mag die arme Edith ausgestanden haben. Ob sie imstand sein wird, ein bißchen Ruhe einzuatmen und Kraft zu sammeln? Und nun geht’s mir durch den Sinn: 8 Tage sind eigentlich eine recht kurze Weile. Kaum Luft geschnuppert und schon wieder Aufbruch. Für Sie freilich ist eine Woche, die Sie aus Ihrem eigenen Haushalt heraus wären, schon genug – wenn überhaupt möglich? Und da denke ich, wenn Edith sich in Schwalberg wohl fühlt und gern noch ein paar Tage länger bliebe, am Dienstag, schließlich auch Montag schon, könnte ich kommen und sie – oder auch, wenn das richtiger wäre, Sie bei Hansli vertreten. Tante Dele möchte doch am 9. So gern zu Franz. Und nun verzehrt sie sich in erregtem Hin- und Herplanen, ob sie soll oder nicht. Sonst redete ich Franz vor ihrem Kommen gut zu, riet ihm auch, sie kommen zu lassen; jetzt, in seinem Zustand, da er so wenig Herr über seine Nerven ist und ihr Anblick – ohne ihr besonderes Verschulden, trotz ihres guten Willens – so tief verstimmend auf ihn wirkt, kann ich mich nicht an ihn wenden. Wenn Sie in diesem Sinn etwas versuchen können und mögen – es könnte ja sein; könnte besonders sein, wenn es möglich wäre, daß Edith zur Zeit noch abwesend wäre – dann bitte ich Sie, es zu tun. Und wenn Franz sich entschließen sollte, sie haben zu wollen, dann fragen Sie vielleicht, daß sie es bald erfährt. Ihre Verfassung ist nicht zu schildern. Der bitterbösen Kälte der ersten Tage war heute eine ziemlich verworrene, trost- und hilfesuchende Aufgeweichtheit gefolgt. Ihre Drohungen macht sie nicht wahr – das brauchen wir nicht zu hoffen. Nicht aus Mangel an Kraft, aber immer noch aus Mangel an Ernst. Wie gern gäbe ich ihr von dem mit, was Franz mir gibt, aber so indirekt nimmt sie es nicht an, sie glaubt es nicht. Aber es freut sie doch nicht, macht sie höchstens eifersüchtig. Es ist so trostlos, so völlig hoffnungslos. Während ich für Edith die Hoffnung nicht aufgeben kann, daß sie seines Geistes noch einen Hauch verspüren wird. Wenn es nun näher rückt, daß sie das Kind bekommt – sollte ihnen nicht an einem Tag ein im Tiefsten gemeinsamer Augenblick werden? Einer, der genug wäre für die Zeit ihrer Ehe und dann für Edith ihr Leben lang? Ich weiß nicht, ob es meine … [?] Mutterempfindungen sind, die mich in diesem Punkt so gläubig machen – ich kann’s nicht lassen, hier mit aller Kraft zu wünschen was fast verloren scheint.
Ihr Mann bringt hoffentlich Gutes mit von Berlin. Meiner läßt Sie grüßen. Und wenn Sie Hansli besuchen, geben Sie ihm einen Kuß von
Ihrem Trudchen
Kassel, den 8.9.22
Liebes Gritli und lieber Herr Eugen,
das war ganz meine Schuld, und es tut mir furchtbar leid, daß mir der getreue Eckhart – in Natura sowohl wie als Druckschrift – entgangen ist. (Was stand denn in letzterer wohl Schönes drin? Vielleicht kann ich es doch noch irgendwann mal lesen.) Ich bin aber nicht 2. Gefahren; ich war nur zu spät aus der Schumannstraße weggegangen – die Uhr ging da etwas falsch; und dann ist es so schwer, ein Schlußwort zu finden, wenn man es selbst finden soll in einem Verhältnis, in dem man eigentlich immer nur Antwort gegeben hat. – Aber nun wird mir die Gelegenheit, mich schriftlich etwas ausführlicher über ein Thema zu äußern, das ich Ihnen mündlich am Bahnhof doch wohl nur angedeutet hätte. Ich kann Ihnen sagen, wie ich Ihnen für Ihre Gastfreundschft danke – für die beredten Abende, die ruhigen und luftigen Nächte und den gemeinsamen Morgenkaffee, bei dem man das Auseinanderstreben zum getrennten Tag wohl spürte, zugleich aber auch das Einver-standensein, eben das Gemeinsame, das dem Abend zu Grunde liegen würde. Ihr “Auf Wiedersehen” erwidere ich ganz von Herzen; denn mit dem Herzen komme ich kaum von Frankfurt los, so heimlich, lieb und meiner bedürftig mich das Zuhaus hier umgiebt. Marianne hat Riesenfortschritte während der 4 Wochen unserer Abwesenheit gemacht. Ihr kapriziöses, schelmisches Weibchentum fiel mir nach dem treuherzigen Hansli besonders auf. Ihre Wiedersehensfreude war erschütternd – also: gegen ihre Treue darf ich nichts sagen.
Leben Sie wohl, seien Sie auch von meinem Mann – mit Hansli herzlich gegrüßt.
Ihr Trudchen.