Contents
- Januar 1925
- Februar 1925
- März 1925
- Juni 1925
- Juli 1925
- Herbst 1925
- Oktober 1925
- November 1925
- Dezember 1925
Januar 1925
[Edith:]
[1925?]
Liebes Gritli,
wir haben jetzt einen “Schreiber”, dem wir täglich eine Stunde diktieren, da schaffen wir etwas mehr.
Bist Du noch krank?
Ich glaube, mit der neusten Schwester (Arztwitwe, 50 Jahre) wirds werden. Die technischen Dinge gehen jetzt – nach 3 Wochen – schon recht gut; aber mit der Verständigung ist’s so schlimm, daß ich noch nicht aus dem Haus darf; ich bin natürlich dementsprechend angestrengt. Jetzt ist wenigstens Schw. Dina wieder nachts da, sodaß ich schlafen kann. Rafael ist sehr groß geworden und schwätzt viel und drollig und entwickelt eine große Phantasie beim Spielen.
Herzlich Deine
Edith.
2.I.25.
Liebes Gritli,
Also ich habe die Johanna gestern ausgelesen, – mit Vorwort und Anzeige am Schluß natürlich, anders kann ich ja jetzt nicht mehr. Aber es ist doch nur ein Shaw wie alle andern, nicht mehr, freilich auch nicht weniger. Auf dem Theater merkt man das sicher nicht so; das liegt an dem Kostüm u. der großen stillen Mitdichterin Klio. Was er durch Gescheiteleshaftigkeit verderben konnte, hat er verdorben, und das Vorwort ist nun deshalb immer noch sauberer als das Stück selbst. Theater ist eben trotz allem Gedichte hauptsächlich Kino; Mord u. Totschlag, Gerichtsverhandlungen usw. wirken immer, ob nun die Worte von einem Dichter oder von einem Journalisten sind. Dichter ist er nur an ganz wenig Stellen, so etwa in der letzten großen Rede der Jungfrau vor Gericht. Er hat eben keine Ehrfurcht vor der Wirklichkeit, womit ich nicht bloss die historische meine, sondern auch die von ihm selber konzipierte. Immer steht er mit dem Zeigestock daneben. Er vergißt sein Publikum keinen Augenblick. Zu der frechen Bemerkung über Schiller hat er wahrhaftig keinen Grund. Ganz abgesehen davon daß Schiller sicher wenn zu seiner Zeit schon die Akten publiziert gewesen wären den Prozeß u. die Verbrennung nicht unterschlagen hätte.
Denk’, Mawrik war hier u. ist dick geworden, gewichtig, Assistent von Driesch, universitätsgläubig wie alle diese Hänse Hess[?], betrachtet mich als ein verlorenes Lamm. Was für eine Generation! Ich verstehe sie ja nicht, weshalb sie unsere abgelegten Schulranzen als Hüte auf dem Kopf tragen u. sich noch wunderschön vorkommen. Mirgeler kann doch eigentlich nicht so sein, er verstehet doch das Neue.
Wie geht es Dir?
Dein Franz.
15.I.25.
Liebes Gritli,
ich hatte Eugens Hegelbemerkung nicht weiter wichtig genommen und gleich weitergeschickt. Er hat aber zur Philosophie ein so komisches Respektsverhältnis, daß er immer seine Ausflüge dahin für wichtiger hält als die Tatsache, daß er das Bürgerrecht da hat. Darum hat er auch die Bemerkung bei Hans so wichtig genommen, daß er deswegen ihm das ganze Nachwort abnimmt, das doch für Nichtpfarrer einfach ungenießbar ist. Oder kannst Du es lesen? Ich halte es nicht etwa für schlecht; nur so wie die Bauleute für einen Aussenstehenden ganz uninteressant sind.
An Herriegel habe ich direkt geschrieben, damit er nicht bloss sich auf Umwegen beschimpft fühlt, sondern ins Gesicht.
Die Kritik im Hochschulblatt war herrlich; wer ist Muthesius?
Mutter war hier. Ich ertrage nicht, wie sie mit Rafael umgeht. Tun das alle Großmütter? Oder war das vor dreißig Jahren auch der Stil für eigene Kinder?
Dein Franz.
15.I.25.
Lieber Eugen,
gerade gestern erzählte Buber von deinem Brief über den Stern. Wie sollte er denn “reagieren”?
Goldstein macht jetzt die Zeitschrift für die ich ihn damals wollte. Ich arbeite mit, weil ich verhindern will, daß es allzu schlecht wird. Er ist einfach unmöglich. Der Erfolg ist aber sicher. Da auch Christen mitarbeiten, wird er vielleicht auch Dich auffordern, Grundsätze hat er ja nur gegenüber dem Zionismus. Sollte er Dich etwa zu einem Aufsatz über mich auffordern, so lehne ab. Denn von allem andern abgesehn hat das ja doch keine Wirkung, weil jeder sagt: Gegenseitigkeit. Eventl. nenn Mirgeler, der ja bei seinen zehn Semestern auch schon den Hegel gelesen haben wird. Das Honorar ist übrigens glänzend: 250 Mark der Bogen. Gleichzeitig hat der Jude die größten Schwierigkeiten!
Rafael ist im Augenblick in dem unglücklichen Zustand wo er alles nachspricht und fast nichts versteht. Diese Folge des Alters der Sprache und daß man sie nicht, wie es von rechtswegen sein sollte selbst erfindet, ist ja glücklicherweise nur vorübergehend; sie macht mich aber in seine Seele hinein ganz nervös.
Dein Franz
P.S. Daß Abraham nicht mit den Genannten auf eine Zeile gehört, meine ich auch.
Februar 1925
7.2.25
Liebes Gritli,
ich habe mir überlegt: Wenn Du wirklich wegen mir kommen willst, so würde ich dich bitten, nicht jetzt, sondern erst in den Ferien zu kommen, und dann gleich auf so lange, daß Edith reisen kann oder wenigstens spazieren gehen. Das Einarbeiten dauert ja allein zwei Tage mindestens. Es ist doch wieder noch schwerer geworden.
Aber wenn Ihr sowieso aus andern Gründen jetzt durch Frankfurt kommt, freuen wir uns natürlich wie stets über Euren Besuch.
Dein Franz.
24.II.25
Lieber Eugen,
de Gruyter stockt schon über eine Woche. Ich habe 13 Bogen. – Der religiöse Spruch ist keiner, sondern stammt aus dem grünen Heinrich, aus dem Kapitel Arbeit und Beschaulichkeit glaube ich. Derartige Schönheitsfehler sind ja eine Menge drin, hoffentlich habt Ihr noch welche gemerkt. Z.B. die zehn Tafeln statt der zwei. Daß die zehn Gebote nicht von Moses gesprochen zu denken sind, sondern vom lieben Gott, wirst Du ja nicht hören wollen, weil damit die ganze “geistreiche” Geschichte hinfiele. Denn Moses ist mit eingeschlossen in das Du. – Ich lasse mich beim Lesen noch immer von der Methode überraschen, nehme sie also nicht so wichtig wie sie ist; ich glaube, das ist, mindestens beim ersten Lesen, das Richtige. Natürlich habe ich das allgemeine Vertrauen zu ihr; sie ist ja in ihrer nacktesten Form nur selbstverständlich – wie jede glaubwürdige Methode sein muss. Hattest Du eigentlich diese Nacktform auch 1917 schon im Hintergrund? Ich entsinne mich nur an Weltalter und Sprache aus dem damaligen Kreuz; wie hießen die beiden andern? – Ich verstehe natürlich nicht alles, lese eben vorläufig mehr mit der Spannung: Was kommt nun? und: Was kommt noch alles vor? – Es ist weiter alles so gesagt, auch die Stellen aus der Eingabe betr. Karl I., daß der ordentliche Schriftsatz nicht leidet.
Dein Franz.
März 1925
[Margrit an Franz:]
Nachts 11./12.[1925]
Lieber Franz – ich kann nicht schlafen, immer wieder wache ich mit einer quälenden Ungewißheit auf.
Ich hatte mich so auf das ZuDirkommen gefreut: Du mußt es doch aus meinen Briefen gespürt haben, daß sie aus vollem und Dir ganz aufgetanem Herzen kamen. Wenn ich nicht oft schrieb und dadurch natürlich vieles doch draußen blieb, so war das eben die natürliche Folge der technischen Unmöglichkeit eines häufigen Briefwechsels. Aber ich meine, es kommt doch darauf an, daß man alles sagenkönnte und daran hat es nicht gefehlt. Ist es nun nicht ein unbegreiflicher Zustand, daß jetzt wo ich stundenlang neben Dir sitzen kann, die ganze Zeit ver = arbeitet wird? Warum? Daß ich da bin um Dir bei Deiner Arbeit zu helfen das geschieht doch eigentlich nur um Ediths willen, für uns kann ich doch nicht dafür da sein, das kann doch nicht die Hauptsache sein. Und das quält mich eben, daß mir das Arbeiten vor dem wirklichen Zusammensein steht (Du verstehst mich doch, das soll nicht heißen, daß ich überhaupt nicht für Dich arbeiten möchte – im Gegenteil, nicht einmal weniger, aber eben nicht nur). Du wirst sagen, daß das nur an mir liege. Das glaube ich auch, aber kannst und willst Du mir da gar nicht helfen? Es ist natürlich so, daß die Art wie man Dir helfen muß (ich weiß gewiß daß es nicht anders geht) das Ausschalten jeder eigenen Initiative, dies sich nur zum Werkzeug machen und dabei dies grenzenlose Gefühl der Unzulänglichkeit, mich immer wieder ganz auslöscht. Vielleicht bist Du enttäuscht über mich, aber dann mußt Du’s mir sagen. Warum holst Du mich nicht mit einer Frage aus dieser Befangenheit heraus? Bist Du so sehr der Überzeugung daß es nur an mir liegt? Aber wenn es so ist, so hilf mir doch trotzdem aus dieser schrecklichen Ungewißheit heraus. Siehst Du, wenn ich Edith nicht so lieb hätte und nicht anders könnte als ihre Bitte zu erfüllen, dann wäre ich diesmal nicht zum Arbeiten gekommen, weil ich die Gefahr die im Arbeiten liegt kenne. Du schriebst mir damals, wenn ich wirklich Deinetwegen kommen wolle, dann sollte ich ect. Aber bin ich jetzt wirklich Deinetwegen da?? Das mußt Du mir sagen und wenn ich das wieder glauben kann, dann wird mir auch die Arbeit nichts machen, denn dann ist sie eben eine Form des Zusammenseins. Vielleicht sehe ich Gespenster, aber ich muß es Dir doch sagen.
16.III.25
Lieber Eugen,
ich habe grade heut morgen den Einschub in folgender Form gemacht: …Gesetz zurückzufinden trachtet. Das kann mir persönlich ja wohl recht sein. Was die Pharisäer des Talmud und die Heiligen der Kirche gewusst haben: dass der Verstand des Menschen nur so weit reicht wie sein Tun, das gilt offenbar, zur Ehre der Menschheit, auch vom Verstandenwerden. Aber dem Buch entstehen aus jenem Vorurteil bei den Lesern eine Anzahl…
Da ist glaube ich jetzt die Erfahrenheit drin, ohne Indiskretion und vor allem ohne Hereinziehung der einzelnen, doch schließlich jedesmal anders beschaffenen, Fälle. Das Lehrhaus kann ich aber deshalb nicht brauchen, weil ich da ja zweimal “mein System” gelesen habe, in vier von den sechs Trimestern, die ich überhaupt selber dabei war. Im zweiten sechzehnstündig und im vierten bis sechsten je achtstündig. Noch neulich sah ich eine Notiz aus dem Mai 22 für den Fall daß ich im Winter noch lesen könnte, für eine Vorleseung. Ich schreibe sie Dir ab:
Logik für Jedermann
Das Geheimnis der Logik
Begriff und Name
Urteil und Wort
Schluss und Antwort
Fehlschluss oder Irrtum
Beweis oder Bewährung
Grundsatz oder Glaube
Die Sprache der Offenbarung
Also Du siehst: im Lehrhaus habe ich den Stern schon leuchten lassen.
Wenn Du in Freiburg zufällig Jonas Cohn siehst, so frag ihn doch, warum er auf den Jehuda Halevi, den ich ihm auf seinen schönen Dankbrief für die Coheneinleitung im vorigen Herbst schickte, garnicht geantwortet hat. Hat er mir meinen Begleitbrief krumm genommen? oder hat er so wenig mit dem Buch anfangen können, daß er mich nicht durch einen nichtssagenden Brief ärgern wollte?
Ich wollte wirklich, daß Du Hans predigen hörst, damit du mal aufhörst, ihn nur zu bemitleiden.
Dein Franz.
Juni 1925
[Edith:]
Frankfurt a/M. d.1.Juni 25
Liebes Gritli,
nun will ich doch endlich mal vesuchen, Dir zu schreiben. An dem Bleistift siehst Du schon, daß es mit technischen Schwierigkeiten verbunden ist. Wir haben mal wieder gräßliches Pech. Schw. Luise ist krank geworden, d.h. sie war es wohl schon von Anfang an, hat aber aus Not die Stelle genommen und behalten, jetzt ging es plötzlich nicht mehr, und so ist sie fast fristlos fort. Über Koch haben wir uns wieder etwas geärgert; er wußte es schon wochenlang und hat uns nichts gesagt! Ärztliche Schweigepflicht! Wir mußten nun sehr rasch zugreifen und scheinen es gut getroffen zu haben; sie ist ein angenehmer Mensch, sehr ruhig und geduldig. Aber das Anlernen ist zum Wahnsinnigwerden; es ist noch viel schwerer als das letzte Mal. Wir müssen um 1/2 8 anfangen, d.h. um 7 spätestens aufstehen, damit Franzwenigstens um 12 mit dem ersten Frühstück fertig ist. Jetzt ist sie 2 1/2 Wochen da. Eben haben wir noch Schw. Dina, die geht aber Ende der Woche nach Nauheim. Ich komme wieder überhaupt nicht aus dem Zimmer, bei dem schönen Wetter besonders qualvoll. Rafael ist jetzt reizend und spricht fast alles. Aber ich bin immer am Heulen, wenn ich ihn sehe; denn meine Beziehung zu ihm besteht im Wesentlichen darin, ihn rauszuschmeißen, die 2 oder 3 mal die er am Tage ins Zimmer kommt. Es kommen Tage vor, wo ich ihn bis zum Nachmittag überhaupt nicht zu sehen kriege. Es ist schon so besonders schwer, weil diese Monate und Jahre so unwiderbringlich verloren sind.
Nun zu Dir. Warum antwortest Du nicht? Ich hatte Dir auf Deinen letzten Brief nicht geantwortet, weil Franz gleich sagte, er wolle es tun, und er war ja auch mehr für ihn, und den für mich angekündigten habe ich nie gekriegt. Mir wirst Du es doch wohl glauben, wenn ich Dir sage, daß Franz tatsächlich unter dem jetzigen Zustand leidet und es ist kein übertriebenes Wort, daß er täglich und stündlich daran denkt. Überhaupt stand in dem von dir zurückgeschickten Brief mehr Wahres als Du ahnst und als Du verstanden hast. Daß Franz sich in der Melodie vergriffen hatte, weiß ich und wußte ich beim Schreiben und habe einen ganzen Nachmittag lang um diesen Brief gekämpft. Du bezeichnest den Zustand selbst mit dem Wort, daß die Gemeinsamkeit des Schicksals aufgehört hat. Und ich meine nun, auf diesen Punkt hat man sich zu stellen und von ihm aus weiterzuleben, und es hat keinen Sinn, jetzt zu philosophieren, ob es denn wirklich, weil es aufhören konnte, “Gemeinsamkeit” und “Schicksal” gewesen sei oder ganz etwas andres. Aber ebenso wenig Sinn hat es, zu behaupten, daß alles beim Alten und in Ordnung sei und sich, – verzeih das Wort – kindisch schmollend mit einem “alles oder nichts” zurückzuziehen. Daß es kein “alles” ist, haben die letzten Monate und Jahre bewiesen, daß es aber auch kein “nichts” ist, zeigen die Schmerzen, die Ihr Euch gegenseitig zufügt. Verstehst Du mich? Ich kann und will mich nicht deutlicher ausdrücken, weil ich, wenn ich vomInhalt sprechen würde, Partei sein müßte, und das will ich nicht, heute nicht.
Ich habe diesen Brief z.T. auf dem Schoß, z.T. während Franz’ Mahlzeiten sehr rasch geschrieben, auch aus diesem Grunde konnte er nicht ausführlicher werden, aber ich glaube, was ich wollte, habe ich Dir doch gesagt.
Deine Edith
Juli 1925
10.7.25.
Lieber Eugen,
Rudi hatte mich sogar extra gefragt wegen der Arbitrage (übrigens auch Strauss neulich, ob er die eine widerwärtige Geschichte, die er mit Epstein hatte, schreiben solle). Er scheint die Arbeit inzwischen etwas umgearbeitet zu haben, so daß ich wohl auch nichts mehr gegen die Veröffentlichung hätte, was ich ja übrigens auch nur gegen die anspruchsvollere Form der Veröffentlichung als Broschüre hatte. Also jedenfalls ist es kein sehr verantwortungsvolles Geschäft mehr und noch jedenfallser lohnt das Ding nicht, es Wittig zu zeigen, und am jedenfallsten – verfahre fein säuberlich mit dem Knaben Absalom, denn .. usw.
In der Kreatur werden wir so gut wie sicher nicht nebeneinander figurieren. Buber irrt sich da, und ich habe es ihm grade in diesen Tagen klargemacht, und er hat es nun auch verstanden. Die Kreatur soll doch selber keine theologische Zeitschrift sein, sondern – das ist ja grade der Witz – nur theologisch fundiert. Und meine ganze Produktion geht nun einmal jetzt in theologischer Richtung. ( Deshalb habe ich z.B. auch Buber abgeraten, Strauss um seinen Franziskus zu bitten; um den Dante, wenn der mal so weit ist, viel eher.) Meine Beteiligung an der Sache wird also wesentlich die des Theaterarbeiters sein, freilich eines alten Faktotums, ohne das es “nicht geht” und das von der Sache per ich und der Herr Intendant spricht; aber die Schauspieler und die auf dem Zettel genannten Regisseure müssen die von unsre Leut sein, die noch in Kunst, Politik und den verwandten Branchen arbeiten. – Daß es diesmal was wird, glaube ich auch. Vor allem hoffe ich, daß die Sichtbarwerdung den Erfolg hat, daß auch andre Leute aus ihren Löchern herauskriechen, sodaß man mal endlich einen Überblick hat, wieviele man eigentlich ist.
Den Aristotels fand ich deswegen so schön, weil er weiß, wie es um einen Philosophen steht: Schülerschaft, Entwicklung, Abfall, Schulbildung, Selbstvertrauen, Selbstzweifel, Selbstnachprüfung, Verzicht und Wirkung – das alles, es ist ja beinahe egal, ob es grade in diesem Fall stimmt oder nachzuweisen ist; aber es ist einfach so.
Also vielleicht ja auf Wiedersehen in deinen Ferien[?]!
Dein Franz.
[Eugen:]
17.7.25 Wardeinstr.3
Lieber Franz,
Ehe ich Buber auf den von ihm gemachten Vorschlag zu einem Beitrag für die Kreatur antworte, – ich glaube nicht, dass ich ihn liefern kann – will ich nun doch abwarten, was Theaterarbeiter und Intendant auf die Beine bringen. Hansens urkomische Sehnsucht nach Weiblichkeit (von Margarete Susmann und der “zu findenden” kath. Frau könnte man wieder sagen: “und wenn sie zeugen, bleiben sie unfruchtbar”) wirst Du ja hoffentlich gedämpft haben. Schirmacher ist eine Null; von Paquet habe ich noch keine vernünftige Zeile gelesen; Michel bedeutet Niveausenkung. Wittig kommt genau so wenig wie Du in Betracht. Ihr seid beide Klerus. Ich habe gestern Weizsäcker das Motto geschenkt:
Die Lehre muss auch die weltliche geistlich sein.
Noch trennt mich aber ein gehöriger Abstand von Deiner wie von seiner Stellung zur Sache. Ich mache Schule. Meine Schüler müssen Eure Zts. lesen. Ihr macht aber durchaus noch eine Zts. alten Stils, ohne Lesergemeinde, aus der Produktionsgemeinschaft von lauter Individuen. Sozusagen den Halbkopf des Janus, der noch nach rückwärts blickt, obwohl Ihr natürlich den selben Kopf bewohnt, von dem aus ich nach vorn ausgucke. Dabei ist die Marschordnung oder besser Arbeitsteilung, denn keiner von uns, mindestens ich nicht, könnte mich ohne Euch so weit vorwagen
Buber
Franz —– —– Eugen
Weizsäcker
+
Stern Literatur Gläubige
Theologie Naturwissenschaft Soziologie
erschlägt
Philosophie +
Dabei hat nun Weizsäcker durchaus Recht, dass er mit Buber ein unpassendes Duett bilde. Wohlgemerkt, dass sie ein Duo bilden, ist unpassend, weil es undeutlich ist. Buber hat seinen literarischen Ruf einzusetzen, aber dafür ist er ja – im ausserjüdischen – fast ohne “Tatsachen”, reine Persönlichkeit, und zwar chemisch reine. Weizsäcker ist als Mediziner zwar voller Tatsachen aber ohne Zeitbedeutung oder Zeitunzweideutigkeit. Die Zwischengeneration, die sie und die Kreatur selbst (im Gegensatz etwas zu Dir und mir) verkörpern müssen, hat als unzweideutiges Zeitsymbol nicht
Natur und Geist, sondern das was ja diese Raumwelt zerbrach:
Weizs. Buber
Jugendbewegung. Deshalb ist Weizsäckers Bedürfnis nach einem Redaktionstrio m. Er. aus der Sache selbst heraus tief begründet. Du sowenig wie ich gehören in die Redaktion. Du bist zu sehr Theologus. Und ich bin zusehr auf Lehre und Lehrraum verpflichtet (obwohl natürlich Du und ich darin schreiben “könnten”, so haben wir eben unsre Kraft nicht dafür frei, und “können” deshalb nicht.). Ich helfe der Kreatur tatsächlich mehr, wenn ich wieder mal einen Schüler umwerfe, wie es eben doch jetzt realiter und unter Donner und Blitz mit den nötigen Erzeugerschmerzen geschieht. Die Nebenuniversität für den Winter scheint gesichert, mit Zuzüglern aus dem Reich, unter Beck[?]ers Protektorat, als Freischardienstjahr, ohne jede Influenz anderer Lehrkräfte ausser echten. Kannst Du also helfen, Buber über meine einstweilige Abstinenz zu trösten?
Mein Mauthnersprachaufsatz ist – unter völliger Ausmerzung Mauthners – im Neuen Merkur erschienen: “Das Versiegen der Wissenschaft und der Ursprung der Sprache”. Willst Du ihn nochmal lesen? Auch “Protestantismus und Volksbildung” ist als Broschüre heraus. Aber auch ihn kennst Du, glaube ich.
Als ich oben das παραλληλον = αντινομικον zu Hölderlin von der geistlich weltlichen Lehre schrieb, fiel mir wieder eine bildhafte Figur ein, in der sich unsere Zwiespältigkeit der letzten Jahre verkörpert. Du hast Margrit einmal beim Schenken der Diotimabriefe gesagt: Man stirbt eben daran. und Deine Entrüstung, dass Gritli nicht gestorben ist, nährte sich an diesem Vergleich oft. Ich und Gritli haben unter dem Stern Hölderlins uns auf unserer ausserweltlichen Brautinsel gefunden und durch Jahre befunden. Wir waren uns Hyperion und Diotima; da wir ja wie Du selbst behauptetest, ewige Brautleute spielten, so war Hölderlin unser Gleichnis. Indem Du mich zum Herrn von Gontard machtest, musste allerdings Gritlis Überleben Dich beleidigen. (Wobei Du vergissest, dass Deine Liebe ihre Täglichkeit um ein bis zwei Jahre vor Gritli verloren hat. Du zuerst hast die Tage und Wochen des Alltags wieder (in dem ersten Frankfurter Jahr) zwischen die Täglichkeit einbrechen lassen. Natürlich hätte Gritli nichts überleben können, wenn sie mit mir nur verheiratet gewesen wäre. Aber hier liegt die Verwirrung und Vertrotzung, die Du angerichtet hast, indem Du das Hölderlinsymbol nachträglich auf Dich und Euch herunterrissest, indem Du die Chronologie umkehrtest und Gritlis Übermüdung vor Deine rücktest und indem Du Dir Deinen eigenen Krafteinsatz-richtungswechsel hartnäckig verschwiegst.
Vielleicht soll ich den Herbst nach England. Dann käme ich über Frankfurt.
Dein Eugen.
Herbst 1925
[Eugen:] [Herbst 25]
Newport bei Bristol
Lieber Franz,
Flinders Petrie hat hier neulich Grimme fürchterlich abgeschlachtet. Der gemeine Mann aber hält es natürlich mit Grimme, wie Dir beiliegender Ausschnitt zeigt.
Ich werde ein Weekend mit Walter Regensburg zubringen. Er ist ein armer Teufel, aber seine Braut ist ein Idyll, also wird er vielleicht in der Ehe gerade geborgen. Vielleicht bringe ich es fertig, ihn zu “stellen”, da ich ja meine Situation recht wohl parallelisieren kann.
Ich traf hier die Frucht des politischen Zionismus, Theoder Herzls katholischen Sohn, der Engländer geworden ist, in dem christlichen Knochenerweichungsinstitut Woodbrooke (40 Leute aus 23 Nationen hören deutsche liberale Theologie aus englischem Quäkermunde). Eine feine trübe Seele, die nur von Siegen und Niederlagen der Kirche weiss. Er hatte mit Martin Buber anlässlich des Tagebuchs seines Vaters korrespondiert.
In England herrscht eine heillose Konfusion und es wird ihnen wohl noch lange schlecht und schlechter gehen. Aber ein paar Glieder des heimlichen Komplotts habe ich doch auch hier getroffen und so war die Reise nicht sinnlos. In vier Wochen bin ich in Frankfurt. Edith, Rafael und Dich grüsst
Dein Eugen.
[Eugen:]
[Herbst 25]
[48, Cholmley Gardens,
London, N.W.6]
Lieber Franz,
Beiliegendes Bild stellt den Hof dar, an dessen Türen noch heut die alten Namen der verschiedenen Fakultäten stehen, nicht aber vier, sondern mehr, und sehr schnurrige Einteilungen. Ich trieb es in Oxford selbst auf, wo ich eine schöne Zeit hatte.
Der Briefkopf ist Walters! Ich wohne 2 Tage, weekend, bei ihm. Es ist reichlich seltsam, dass ich nun περιπλομενωνενιαυτων bei ihm über Dich, den Stern, Juden- und Christentum diskutieren muss. Er ist ganz versessen darauf, Dich – garnicht bis zum komischen mich – zu verstehen und zu überstehen. Sehr gescheut und sehr anständig. Und mit dem meisten hat er natürlich “unter dem Gesetz” recht. Ich habe heut 2 Stunden lang den Stern doziert und interpretiert. Aber er ist für eine völlig unenglische Situation geschrieben. Es ist hier ja alles ganz anders: muddle through die Losung, altes Testament ganz lebendig in der Kirche, die 10 Gebote Bestandteil der Liturgie. (Diese Dinge kamen nicht heut zur Sprache, aber man muss sie wissen, um die “Continentalität” all unserer Theologumene zu fühlen.) Marcionitismus ist hier undenkbar. Übrigens – ich selbst bin auch aller Theologie völlig entfremdet. Wittig hat nicht widerrufen, wie es scheint. Es ist eine grausige Einöde um ihn. Wir können nichts erfahren, da er auf seinem Dorfe sitzt.
Der Herausgeber des Hibbert = Journal Jacks hat eben ein Buch geschrieben: the faith of a pastor, worin er “vom Tode” anhebt und von der Herausforderung die der Tod für uns bedeutet. Ein merkwürdiger Mann, wie Du schon daraus siehst, dass er arrangieren will, dass ich in Oxford Vorlesungen halte. Er hat ein College dort.
Die Engländer sind ungefähr anno 1840 in philosophicis, eher 1831 als 1925. Und werden wohl einige Kapitel unserer Philosophie überschlagen. Und wir können auch nicht mehr “deutsch” philosophieren, nicht mehr europäisch, nur noch missionierend, in wachsenden Kreisen sozusagen, ganz gleich wo, ganz gleich wie gross. Ich gebe aber für meine eigenen Ansichten derzeit keinen Pfennig. So tief übermüdet bin ich.
Jetzt kriege ich ein Essay vorgelesen, das Walter vor zwei Jahren – vermutlich auch im Leiden unter Deinen Angriffen – verfasst hat. Er heiratet Anfang Dezember. Es scheint für ihn eine schwere Frage, ob Du davon Notiz nimmst. Er war die ersten Male schrecklich politisiert durch Labour. Jetzt in seinen vier Wänden merkt man, dass ihn die Politik nicht im geringsten interessiert, nur das Glaubensleben, – wie man es 4 Wochen vor der Hochzeit versteht.
Dein Eugen.
Ich habe auf der Bodleiana gearbeitet. Eingang im beiliegenden Hof.
Oktober 1925
20.10.25.
Liebes Gritli,
Mirgeler schreibt mir und bittet mich um eine Art Attest, daß unsere Vergangenheit seiner Gegenwart nicht im Wege steht, was ich ihm ja mit gutem Gewissen bescheinigen konnte, obwohl ich nicht recht weiß, was er damit anfangen will.
Aber außerdem schreibt er, daß Du Dich mir gegenüber schuldig fühlst. Davon hatte ich keine Ahnung, mußte sogar nach Deinem Verhalten im Frühjahr, vor allem nach Deiner Harthörigkeit für meine Briefe nachher, und nach der Art wie Eugen dann die Sache behandelte, eher das Gegenteil annehmen. Nachdem ich nun aber durch Mirgeler, der doch sicher Bescheid weiß, das was Du vor uns verbargst doch erfahren habe, möchte ich doch darauf eingehn; es hat keinen Sinn daß Du Dich mit Gespenstern herumschlägst und Dir dadurch den Genuß der Gegenwart verkürzest. Dein Verhalten gegen uns im Frühjahr, das gewiß alles andre als schön war, hast Du durch Deinen neuerlichen Besuch vollkommen redressiert; wir sind Dir für dies Wiederherstellung einer unbrutalen, menschlichen Beziehung dankbar und auch Du wirst Dich wohler dabei fühlen. Und in unsrem Verhältnis in den fünf Jahren seit 1918 kann auf Deiner Seite von Schuld keine Rede sein, weder in Deinem Knüpfen noch in Deinem Lösen der Beziehung. In beidem bist Du, das sehe ich jetzt ganz klar, nur Deiner Natur gefolgt und hast, mit Deinem eigenen Wort darüber vom Frühjahr zu reden, nur das Selbstverständliche getan. Wenn man dabei von Schuld reden wollte, wäre sie bei mir zu suchen, daß ich in dem Ausgang jenes Selbstverständliche nicht gleich verstanden habe und vor allem daß ich nicht von allem Anfang an alles im Sinn jener Selbstverständlichkeit verstanden habe. Aber wie gesagt ich würde auch das keine Schuld nennen, geschweige denn Deinen Anteil.
Das Manuskript ist nun ganz weg. Aber Korrekturen noch keine weiteren. Alle andern haben die Ruhe, nur Buber und ich die bekannte jüdische Hast. Dabei doch eigentlich nur im Interesse der andern, wenigstens des Verlegers; denn uns kann es ja eigentlich egal sein ob der Verleger sein Kapital rasch amortisiert. – Jedenfalls habe ich heut zum ersten Mal seit Juni “nichts zu tun”. Es kommt ja aber nochmal wieder.
Edith grüßt. [Edith: und kommt hoffentlich bald zum Schreiben]
Dein Franz.
[Anfang fehlt]
[an die Mutter?? Oktober/November 25?]
noch zweier Briefe grade aus diesem Jahr, der eine aus dem Frühjahr, der andre aus dem Spätherbst, die zu den schönsten gehören, die Du mir je geschrieben hast. Wie konnte ich Dich mit meiner Narrheit, mit meinem (nach Eugens’ Wort) “Philosopheneigensinn”, “Herr des Geschehens” bleiben zu wollen, so quälen! statt einfach aus Deinem Verhalten abzunehmen, was Liebe ist.
Auch Du mußt doch froh über diese Übereinstimmung sein. Wäre sie nicht noch rechtzeitig in mir erweckt worden, so wärest Du ja gezwungen gewesen, mich, wenn Edith einmal behindert gewesen wäre, in dem Zustand absoluter Stummheit im Stich zu lassen; und da Du ja weißt, was das heißt – denn soviel Einblick hast Du in unsere primitivsten Lebensbedingungen, so hätte die von Dir neulich ausgesprochene Unmöglichkeit mir zu helfen dann, wenn der Fall eingetreten wäre, auch Dich an den Rand der Verzweiflung gebracht. Auch deswegen freue Dich also meiner Bekehrung!
Und überhaupt
Dein Franz.
November 1925
18.11.25
Lieber Eugen,
erst heut komm ich zum Antworten auf Deine drei Briefe und zum Dank für das Bild in dem gestrigen. Ich bin ja nicht Herr meiner Zeit, sondern das ist der meschuggene Drucker Hegner in Hellerau, von dem Du ja auch weißt. Heut läßt er mir grade wieder mal Luft, dann kommt irgendwann wieder das ganze Buch zum Korrigieren auf einmal.
Daß Du mit Walter bis zu dem Punkt deines dritten Briefs kommen würdest, war mir schon nach der ablehnenden Bemerkung über ihn in Deinem ersten (vom 3.Okt.) keine Frage. Denn das einzige was ich vor zwei Jahren an ihm getan habe, war ja weiter nichts als ein Hinschieben auf eine irgendwannige Begegenung mit Dir. Von Angreifen war garnicht die Rede; ich werde Dir jetzt wenn Du kommst meinen damaligen Brief zeigen. Nur seine allzubequeme Zumutung, ihm seine “Überzeugtheit” (und wenn schon!, was heißt denn “Überzeugung”! Hans hat den Schritt damals auf Wunsch seines Grossvaters und auf Rat Onkel Viktors, “damit es garnicht in seine Habilitationspapiere käme”, getan, Rudi Hallo aus echtester Not, – was daraus wird, darauf kommt es an!) zu bescheinigen hatte ich damals abgewiesen, eben im Sinne der obigen Parenthese. Den dümmlichen Essay über die berühmten Juden und die mangelhafte Sportbetätigung seines Vaters hatte er mir damals mitgeschickt; ich habe ihm damals vetter=, väterlich geraten, ihn aus Gründen des guten Geschmacks in seiner doch = immerhin = Situation nicht zu veröffentlichen. Deine Lage 1906 war übrigens, von dem, bei ihm auch viel stärkeren, Laios = Komplex abgesehen, ganz anders. Du hättest damals schon einen ungeheuren guten Willen aufbringen müssen um das Judentum zu sehen; Walter musste sich Scheuklappen vorbinden, um es nicht zu sehen.
Przywara hat mir, mit Briefen Herrn Professor Eugen Rosenstock Breslau, seinen Aufsatz in den Stimmen der Zeit, den Du nach Deiner Rückkunft unbedingt lesen mußt, geschickt. Er ist so, daß ich nicht bereue, Buber die Annahme der Einladung zu einem Religionsgespräch, wegen des Orts – bei Gottfried Salomon -, widerraten zu haben: unmenschlich. Von mir hat er natürlich nur vom dritten Teil Notiz genommen, aber auch von dem wie!! ungefähr die Sachen lässt er mich meinen, gegen die ich das Buch geschrieben habe. Hingegangen zu dem Gespräch ist übrigens – Koch!
Dein Franz.
Dezember 1925
6. 12.25
Lieber Eugen,
Mittwoch um 11 liest Buber in der Universität, um 12 hat er Übung, ißt bis 2 bei uns, dann wahrscheinlich von 4-7 wieder hier. Um 8 spätestens esse ich. Donnerstag bin ich Vormittag von 1/2 12 und Nachmittag von 4 an sprechbar. Ebenso Freitag Vormittag. Dies das Programm. Mit Buber wirst Du ja auch zusammensein wollen. Ruf aber bitte an, wann es geht.
Mit den zehn Geboten hast Du Pech. Grade das strikte Verbot wird im Hebräischen durch das Futurum mit “non” ausgedrückt, ist also nur durch den Zusammenhang von einer Verheissung zu unterscheiden (“Batterie steht morgen früh um 5 Uhr 30 marschbereit auf dem Kasernenhof”, was auch keine Verheißung ist, obwohl es der grammatischen Form nach eine sein könnte); mit “ne” wird grade das bitt=, mahn=, zuspruchweise Verbot ausgedrückt: fürchte Dich nicht, zürne nicht, usw. Z.B. steht Genesis 2,17, 3,1, 3,3 3,17 bei der verbotenen Frucht immer “non”; und wenn das eine Verheissung gewesen wäre, wäre es sehr kompromittiernd für den Verheißer, oder sehr angenehm für uns.
Dies nur zur Entlastung des Mündlichen.
Also auf Wiedersehn.
Dein Franz
11.12.25
Lieber Eugen,
es war mir schmerzlich, daß durch Dein Mißverständnis meiner Erregung eine von mir nicht gewünschte Härte in unsern Abschied kam. Ich hätte Dir den andern Gruß unbedenklich auftragen können und es vielleicht getan. In diesem Zusammenhang und als Wort zu meiner Erregung aber, wie Du es meintest, wäre es eine einfache Lüge gewesen. Die Erregung, so weit sie nicht auf Konto des pathologischen ging, bezog sich wirklich nur auf Wittich [!]. Ich habe Deine Frage, ob Du es erzählen dürftest, erst bei nachträglichem Überlegen verstanden; ich hatte sie nur auf ihn bezogen. Daß in derartigen Erschütterungen immer auch ein Stück Pathroklu prophasie steckt, ist ja klar. Aber an einen Dritten hatte ich wirklich nicht gedacht. Dem Ernst meines Gefühls für Wittich [!], von dem Du ja nun unfreiwillig Zeuge geworden bist, hätte sich kein Gedanke an jenes andre Verhältnis einmischen können, das wir für die Vergangenheit vielleicht verschieden ansehen mögen, das aber in der, nun schon 3 Jahre währenden, Gegenwart doch unabhängig von aller Zweifelhaftigkeit der Ansichten ein ganz konventionelles geworden ist. Das Nebeneinander, in das Dein Mißverständnis die beiden Grüße zu bringen drohte, hätte den ersten entwertet.
Bubers mir sonst an ihm gar nicht gewohntes Tempo kam vielleicht daher daß er im Herbst via Gritli = mich gehört hatte, daß Wittich [!] in den Sommertagen der Plan der Kreatur zeitweilig gradezu Welt und Zukunft vertreten hätte.
Grüß Gritli und Hansli
Dein Franz
[Eugen:]
14.Dez.[1925]
Lieber Franz,
Seltsame Gleichartigkeit des Schicksals, das Frankfurt mir und Gritli bedeutet. Dort ist die Stärke unseres Lebens, die halbe Kraft unseres Herzens verströmt in zwei Häuser. Beide verleugnen ihre geschöpfliche Verbindung zu dem Erzeuger. Beide ehren nicht die Entkräfteten, sondern verscharren die Exilierten, die ihre eigentliche Herzkraft dort gelassen haben, sub voce konventionell. Mir ist am 11. mit Michel und der Akademie genau das gleiche passiert wie Gritli am 10. mit Dir. Deinen bösartigen Ukas erhältst Du anbei zurück. Ich habe Wittig gefragt, ob das nun Eitelkeit sei, wenn man unerlöst um das Liebeswort bettle, das die Schöpferkraft und die geheime Beziehung benenne jenseits der von Dir beliebten Alternative Leidenschaft (Buber) und Konvention. Denn dass Du nun Menschen aus Fleisch und Blut tottrampeln musst, ist ja an sich Deiner gegenwärtigen Leidenschaft zugute zu halten. Sie bekommt grade dadurch Fleisch und Blut.
Wittig nannte das, was mir in Frankfurt widerfuhr und eben jetzt erneut widerfährt: Mord. Und ich weiss seitdem, dass es das ist. Ich sage trotzdem zu dem Mörder “lieber Michel”, aber die Tatsache des Mords sage ich ihm auch.
Glaube nicht, dass nur Kirchen oder Staaten ins Exil schicken. Ich lerne an Deinem Stolz und an dem Hass der Akademie, dass die Gewalt der Seele auch vom Menschen ins Exil geschickt werden kann. Die Exilierten werden wohl kraftlos darob aber nicht stumm sondern bleiben wenn auch verscharrt
Dein Gritli und Eugen
23.12.25
Liebes Gritli,
ich schicke Dir – erst heut, weil ich bis jetz an einem Waschzettel für die Bibel zu arbeiten hatte – diese Korrespondenz, damit Du sie kennen lernst; der Anlaß war ein Gefühlsausbruch von mir auf Eugens Frage, ob er Wittig von mir grüßen dürfe, den Eugen auf Dich bezog! Sein Mißverständnis führte zu einer scheinbaren Härte, gegen meinen Wunsch, so daß ich gleich am Morgen ihm diesen begütigenden Brief schrieb. Die Folge war dieser alberne Brief, den er auch noch mit Deiner Unterschrift verzieren zu müssen glaubte. Daß Du nichts davon weißt, war uns beiden unabhängig von einander – ich kam erst gestern dazu, mit Edith darüber zu sprechen – selbstverständlich; wie hättest Du sonst Deine Antwort auf meinen letzten Brief schreiben können! Aber grade weil ich die respektiere, möchte ich wünschen, daß Du Eugen etwas über Deine Auffassung aufklärst, damit sein ungeschickter Advokateneifer nicht immer wieder aufrührt, was wir alle wirklich nur zu beschweigen Grund haben.
Gestern ist das Buch an Euch abgegangen, sodaß es wohl noch zu Weihnachten zurecht kommt. Eine Besprechung ist auch schon erschienen, die noch nicht mal auf meinen Waschzettel geantwortet hat, sondern einfach den Prospekt ausschreibt. Und wo? in der Deutschen Tageszeitung! “ausgerechnet”.
Deinen kühnen Rat haben wir befolgt. Wir haben den Text wirklich den Erzählungen von Rafael zu Grunde gelegt. Er spricht nun gleich von Chawa, ohne ihre Identität mit Tante Eva Sommer zu ahnen. Und bei den Schiffen, die die Freitagabendonkels und =tanten als Naturalleistungen für ihn anfertigen müssen, sagt er plötzlich: “bis auf eine Elle geschlossen”.
Dein Franz