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März 1926
5.3.26
Liebes Gritli,
ich schicke Dir anbei ein fertig adressiertes und frankiertes Couvert zur Rücksendung der Correspondenz Eugens mit uns. Verzeih daß ich Dir die Bitte neulich in einer Form gestellt habe, daß Dir aus der Ausführung Mühe und Kosten erwachsen wären.
Mit den besten Grüsen an Dich und die Deinen
Dein
Franz Rosenzweig
Mai 1926
21.V.26
Lieber Eugen,
der Aufsatz – anbei zurück – ginge aber nur wenn die lateinischen Zitate deutsch gegeben würden und nur in Anmerkungen lateinisch. Interessant ist er schon.
Dabei ist mir aber wieder die Frage gekommen, ob Ihr da dem guten Schneider nicht in (berechtigter) Vernarrtheit ineinander ein ganz unmögliches Buch aufbrummt. Ich könnte mir eher die Erlösten und die Spenglerkritik in einem Buch denken als diesen Aufsatz und den Sohm, der dabei doch noch der wissenschaftlichste von Deinen Beiträgen sein wird. Jedenfalls ist für Dein Publikum Wittig der Professor eine bloße Belastung; höchstens für Wittigs kirchenhistorisch Interessierte ist es gut wenn sie Deine Konterbande beim Auspacken der bestellten Ware vorfinden.
Kosmologie – ich war ja grade der Prellbock an dem Dein eigener Stoß in der Richtung Weizsäcker und Dein Sturmbock Wittig in der Richtung Buber abgeprallt ist. Weizsäcker und Buber waren an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bei mir, das Schlagwort ist als Gegensatz zu Theologie unentbehrlich und für ein Schlagwort sehr wenig mißverständlich. Grade Antropologie würde ganz irreführen, und grade in die Richtung die Du befürchtest. Überleg es Dir auch mal von den drei Lagern her. Grade im Antropologischen ist da die Verschiedenheit des Standpunkts unabänderlich, während die Welt das gemeinsame Hotel ist, wo man sich in der Halle, im Lesezimmer und im Speisesaal schwer aus dem Weg gehen kann.
Bitte doch Gritli, sie möchte mir die Korrespondenz die ich ihr kurz vor Weihnachten zur Einsicht schickte, zurückschicken.
Herzlich grüßt Dich
Dein
September 1926
[Eugen:]
Abschrift
Cassel 17. Sept. 1926
Terrasse 1
Lieber Franz, liebe Edith,
Auf der Terrasse lebt man ganz in Eurem Bannkreis; sie ist zur Filiale der Schumannstrasse geworden. Korrekturen der Bibelübersetzung, des Jehuda, der Aufsätze, Rafaels jüdische Geschichten und die Bildchen von ihm, Eure Gäste und Hausgenossen, Eure Arbeit und Euer Zeitmangel – alles ist hier gegenwärtig wie bei Euch selbst.
So komme ich dazu, mit Euch zu sprechen, obschon ich vom Briefschreiben da nichts halte, wo es schon einmal so weit gekommen ist, dass Worte an Dritte kolportiert, Briefe gereizt hin und her gesandt worden sind wie zwischen uns. Der tragende Grund ist dann zerrüttet. Nur Gegenwart kann dann heilen.
Doch das Zurückbehalten der Briefe lasst mich aufklären. Es ist ja eine bestimmte Einzelheit.
Ich bin aufs äusserste erstaunt, dass in diesem Einbehalten irgend etwas Unberechtigtes, Ruchloses oder Rücksichtsloses gelegen hat. Ich sehe ein, dass ich auf das juristische Eigentum keine Rücksicht genommen habe. Die Akte liefen so: 1. Mein letzter Besuch in Frankfurt hat – weder Ihr noch ich haben dazu etwas getan – unheilvoll gewirkt. Es gibt unverschuldete Dinge, die plötzlich die Unterwelt öffnen und die Schauder der Hölle wachrufen. So hier. Ich sah plötzlich in die Hölle hinein. Das Missverständnis mit dem Gruss an Wittig war nur Anlass, klar zu erfahren und zu verstehen, was ich bis dahin nur halb gewusst: Einen Franz, der sich in der Vergangenheit weggeworfen zu haben meint, Irrtum nennt, zu bereuen wünscht, was mit sieben Siegeln versiegelt war als “entrückt”. Des Entrückten Täter war unser gemeinsamer Gott gewesen. Nun macht sich Franz zum Missetäter und entehrt damit mich als gottverlassen.
2.Akt. Ich schreibe den absentierten Brief. Garnicht in “blindem Advokateneifer” für Gritli. Auch dieser Ausdruck zeigt, dass Franz nicht wahr haben will, dass es nicht um Gritli, sondern um mich und ihn geht. Gritli in ihrer Hüssyart kennt sowieso keine Selbstverteidigung und hat immer eine Schuld persönlich sehr schwer genommen, – die Erwartung eines nur kurzen Leidens 1922 – die Du Franz, selbst und ich und alle andern ausser Edith allerdings in grosser Schwäche begangen haben – sondern ich habe protestiert, weil mich Deine neue Lesart nach rückwärts entehrt. Denn das Schaffen unserer Geister und das Leben unserer Herzen haben sich in der gemeinsamen Vergangenheit entsprochen und eben diese Entsprechung heiligte “Eugens Gritli”. Sowie Du Deines Geistes Schaffen von damals als Deine Leistung herausreisset und wir bloss Gegenstände, armes Getier sind, an denen Du damals Dein grosses Sternenlicht zufällig entzündet hast, ist die Richard Wagnerei – siehe sein Zürich – fertig.
Dies der Sinn meines absentierten Briefs.
- Akt. Ich komme zu ruhiger Überlegung und sage mir: Dass wir zeitlebens doch in einander verflochten sind, könnt Ihr so wenig wie wir ändern. Die Gegenwart hängt nicht mehr von uns oder Euch ab. Unsere äussere Existenz freilich lässt sich getrennt halten und unsere Kinder kann man verhindern sich zu lieben. Denn über die Zukunft hat jeder gesonderte Rechte und so hat da jeder Teil freie Hand. Auch genügt es in allen Sachen der Zukunft, dass nur ein Teil Nein sagt, um sie zu verhindern. Anders liegt es in Sachen der Vergangenheit. Hier genügt es, dass noch ein Teil da ist, der in der alten Weise Ja zu ihr sagt und alle Abtrünnigen vermögen nichts gegen ihn. Diesen Teil bin ich entschlossen zu halten. Ich lasse die Vergangenheit nicht zerstören noch nach rückwärts umfälschen.
Nun wird aber solche Umfälschung durch nichts so gefördert wie durch gegenseitige In[?]kriminationen. Also sah ich ein, dass der Brief gerade von meinem Standpunkt aus eine Dummheit war. Deshalb freute ich mich, ihn wieder in die Gewalt bekommen zu haben.
- Akt. Ich sehe jetzt ein, dass ich die Einbehaltung des Briefs wohl etwas zu primitiv ausgeübt habe und was darin känkendes gelegen hat, ist mir leid und ich bitte Euch, das mir nachzusehen. Wenn da noch anderes, von mir nicht kontrollierbares, Einzelne von Euch schmerzhaft empfunden ist, so kann ich nur 2erlei sagen: Dass wir über unsere Beziehungen zu Euch nicht schwatzen, am wenigsten Gritli, müsst Ihr einmal auch gegen den Anschein glauben.
Jedes Weitertragen entstellt. Für die Brutalitäten des jungen Mirgeler hat sie selbst am meisten gebüsst. Wünscht Ihr noch die Briefe zurück?
Ich bin und bleibe
Euer Eugen.